Von Matthias Konzok
Hartplätze in Baden-Württemberg
Jeder weiß, wie sich's anfühlt
| Hartplätze haben Generationen von Fußballern geprägt. Doch sie verschwinden zunehmend von der Landkarte. Der SV Häg-Ehrsberg ist eine letzte Bastion: Zu Hause kickt der Kreisligist nur auf rotem Sand. Und das soll so bleiben.
Man stelle sich vor: Es ist Freitagabend, die deutsche Fußball-Nationalmannschaft läuft in München zum Auftakt der Europameisterschaft gegen Schottland auf den Platz. Der gemeine Fan macht es sich daheim auf dem Sofa gemütlich, schaltet den Fernseher ein. Plötzlich schrecken die Kinder auf: «Warum ist der Rasen denn rot?» Da können die Eltern ihre ganze Erfahrung ausspielen: «Das, liebe Kinder, ist ein Hartplatz. Kein Rasen, sondern Sand. Darauf kann man Fußball spielen. Klingt komisch, ist aber so.»
Heute klingt das abwegig. Ein Länderspiel auf einem Hartplatz? Nie und nimmer! Erzählen Sie das mal Sepp Maier, Manfred Kaltz oder Karl-Heinz Rummenigge, als sie am 25. Februar 1979 die EM-Qualifikation auf Malta gegen die Amateurkicker der Mittelmeerinsel bestritten. Der Untergrund in Gzira: ein Ascheplatz. «Man muss zurückgehen auf eine ganz primitive Spielweise», kommentierte damals Bundestrainer Jupp Derwall wenig schmeichelnd die Art des Platzes. Das torlose Remis war dem «Spiegel» 2017 genug Blamage, um es in die Liste der «schlimmsten Schlappen» der DFB-Elf aufzunehmen.
Malta ist weit weg, das Spiel 45 Jahre her an diesem Freitagabend vor Pfingsten. Oberhalb des Wiesentals legt sich die Abendruhe über Häg-Ehrsberg im Bezirk Hochrhein. Etwas mehr als 800 Einwohner, mehrere Vereine: Musik, Theater, Trachten, Narren, sogar Angelsport. Und: der Sportverein. Dessen Fußballer absolvieren ihr letztes Heimspiel der Saison. An der Südseite des Kickplatzes wiegen sich die Nadelbäume im Wind, unter der Abendsonne schiebt sich von der Westseite der Schatten des Gehölzes langsam über das Feld. Der Sonnenschein hat tagsüber den Regen abgelöst, die Bedingungen sind perfekt. Der rote Sand lässt sich geschmeidig zwischen den Fingern zerreiben. «Ein bisschen weich und angetrocknet», sagt Max Rümmele. «Super zu spielen.» Rümmele ist Torwart beim SV Häg-Ehrsberg. Die Mannschaft spielt zu Hause auf einem Hartplatz. Immer. Denn einen anderen gibt es hier oben auf fast 1000 m Höhe nicht. Damit verfügt der SV Häg-Ehrsberg über ein Alleinstellungsmerkmal: Im SBFV ist der Verein derzeit die einzige Mannschaft, die ihre Heimspiele auf Sand austrägt. Wie an jenem Freitag: Kreisliga C. Elfte Liga und unterste Klasse. An einigen Stellen ragen grüne Grasbüschel aus dem roten Spielfeld, das unter den Sonnenstrahlen morastig schimmert. Gegen den TuS Kleines Wiesental II läuft der «rote Dino» aus Häg-Ehrsberg – na klar – in rotem Dress auf. Aber auch die weißen Trikots der Gäste zieren in der ansehnlichen Kreisliga-C-Partie alsbald rote Sandspuren von den Zweikämpfen, den Grätschen.
Der Hartplatz ist vom Aussterben bedroht
Die Kommandos von Max Rümmele, in langer Hose und langärmeligem Trikot, übertönen die Musik, die von der Seitenlinie aus dem Festzelt dröhnt. Wenige Minuten nach Abpfiff hält er das Mikrofon in der Hand und eröffnet das traditionelle Grümpelturnier. Seit 2023 ist der 28-Jährige auch Vereinsvorsitzender – und viel beschäftigt. Rümmele ist bodenständig. Einer, der anpackt. Früher war er Feldspieler, in die Rolle des Torhüters ist er nach einer Pause «reingeschlittert». Doch die neue Position gefiel ihm sofort gut. Er spürt die saisonalen Veränderungen des roten Untergrunds, der im Sommer im wahrsten Sinne des Wortes ein Hartplatz ist.
Als das Fußballfeld in Häg-Ehrsberg in den 80er-Jahren erbaut wurde, waren Hartplätze weit verbreitet. Noch früher, da waren vielerorts Vereine mit Rasenplätzen die bestaunte Ausnahme. Der rote Sand hat Generationen von Fußballern begleitet. Dann setzte ein Wandel ein, forciert durch den Kunstrasen. Seitdem verschwindet der Hartplatz, Ort für Ort. Im Spielbetrieb werden laut DFBnet in Baden-Württemberg 5431 Fußballplätze genutzt, 208 davon sind Hartplätze – 67 beim bfv, 98 beim SBFV und 43 beim wfv. «Wir bekommen jedoch nicht alle Stilllegungen bzw. Umbauten mitgeteilt», erklärt SBFV-Pressesprecher Thorsten Kratzner. Daher ist davon auszugehen, dass deutlich weniger Hartplätze überhaupt noch existieren.
In der Staffel 3 der Hochrhein-Kreisliga C fanden nur 10 der 90 Saisonspiele auf Sand statt – 9 davon beim roten Dino in Häg-Ehrsberg. Rümmele schildert seine Eindrücke von Gäste-Spielern: «Wenn sie eine Platzbegehung machen und im Sand rumschlurfen, sieht man, dass sie nicht so begeistert sind.» Vereine mit rotem statt grünem Zweitplatz haben es schwer im Werben um Spieler. Rümmele dreht die Ansprüche um: «Bei Neuzugängen muss es menschlich passen – wir sind eine richtig eingeschworene Truppe.» 20 Spieler umfasst der SVH-Kader, der Großteil kommt aus der Gemeinde, der Rest aus der nahen Umgebung.
Keine Angst vor Grätschen und Schürfwunden
An jenem Freitag vor Pfingsten hat die eingeschworene Truppe auf ihrem Platz Vorteile, geht gegen die Reserve des TuS Kleines Wiesental zweimal in Führung. Kurz vor Schluss trifft der Gast zum 2:2. «So ist Fußball», sagt Rümmele gelassen. In dieser Saison verlor der rote Dino nur eines seiner neun Heimspiele. Nach der Sommerpause werden die Kicker sich wieder auf dem Sand ihre Schürfwunden abholen, im Winter über die eisige Fläche grätschen.
Ist der Platz von Schnee bedeckt, «dauert es ein bis zwei Wochen, bis er wieder bespielbar ist», erklärt Rümmele. Der Spielplan ist stets so gestaltet, dass Häg-Ehrsberg in den Randzeiten vor und nach der Winterpause auswärts antritt. Im Winter geht’s zum Hallentraining nach Häg, zum Lauftraining runter ins Wiesental. Die Auswärtsspiele auf grünem Untergrund können sie beim roten Dino durchaus genießen. «Ein richtiger Rasen hat auch seinen Charme», sagt Rümmele, auch wenn sich auf Sand besser antreten ließe. «Zudem sind die Plätze der Konkurrenz kleiner als unserer, da werden die Räume dann enger.»
Gibt es derzeit Pläne, einen Kunstrasen in Häg-Ehrsberg zu verlegen? «Überhaupt nicht», antwortet Rümmele. Er verweist auf die finanzielle Herausforderung für «unseren kleinen Verein» und bewertet einen Kunstrasen auch wegen der Witterung in dieser Höhenlage skeptisch. Da scheinen die Kosten für die Sanierung des Hartplatzes, die alle zehn bis zwölf Jahre fällig sei, solider zu stemmen zu sein. Im vergangenen Sommer hat der SV die Tennendecke und den Sand neu aufgetragen, in Eigenarbeit und unterstützt durch eine Spezialfirma.
So werden weiterhin Fußballer heranwachsen, die mit dem roten Sand vertraut sind. In der Jugend kooperiert Häg-Ehrsberg mit dem 15 km entfernten SV Todtmoos, der 2015 seinen Hart- in einen Kunstrasenplatz umbaute. Werden die Junioren da des Hartplatzes überdrüssig? Offenbar nicht. Als sie in dieser Saison eines ihrer Turniere auch mal in Häg-Ehrsberg austragen durften, «waren sie mordsbegeistert, daheim auf ihrem Platz spielen zu dürfen», so Rümmele. Der Nachwuchs trainiere schließlich auch dort, «sie sind es gewohnt».
In Häg-Ehrsberg hat man sich arrangiert. Mit dem Hartplatz und mit der Spielklasse. In der Kreisliga C «sind wir gut aufgehoben», sagt Rümmele, «das passt schon, wir sind zufrieden.» Als Torwart und Vereinschef lebt er die Identifikation vor. Ihm gefällt es, dass sein Club ein Alleinstellungsmerkmal hat – und den Status als roter Dino. | Matthias Konzok, Schopfheim