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Von Achim Frommann

Sporteltern in der Talentförderung

Begleiten, interessiert und dennoch bedingungslos

| An den 346 Förderstützpunkten in Deutschland werden jede Saison rund 600 000 Mädchen und Jungen gesichtet. Letztendlich durchlaufen in den Landesverbänden etwa 16 000 Kinder im Alter von 11 bis 14 Jahren das Talentförderprogramm des DFB, durchgeführt von 1300 Stützpunkttrainern. Dazu kommen Talente, die bereits in den 56 anerkannten Nachwuchsleistungszentren trainieren, verteilt von der 1. Bundesliga bis hinunter zur Regionalliga. Dort ausgebildet werden von Jahr zu Jahr über 9000 Jungen im Grundlagen-, Aufbau- und Leistungsbereich zwischen U 11 und U 19. Nicht erfasst sind viele Tausend weiterer Mädchen und Jungen in Nachwuchsförderakademien oder bei Juniorenfördervereinen.

Bei den Juniorinnen findet die Ausbildung und oft auch die Unterbringung separat zu den Junioren oder häufig gemeinsam mit anderen Sportarten an Olympiastützpunkten statt. Daher sind in der Förderung weiblicher Talente neben den Vereinstrainern vor allem die Verbandssportlehrer und Stützpunkttrainer wichtige Ansprechpartner und Akteure. In den Landesverbänden werden so im Alter U 12 bis U 19 ca. 4000 Spielerinnen ausgebildet.


Eltern halten das Gleichgewicht

Der Eintritt in die Talentförderstrukturen des deutschen Nachwuchsfußballs hat jedoch vom ersten Tag an Einfluss auf ein Familiensystem. Wie bei jeder «Systemstörung» – egal ob negativ oder positiv motiviert – kommt dieses in ein Ungleichgewicht, das von den Eltern wieder ausbalanciert wird, was zu einem langwierigen Prozess werden kann. Denn es gibt kaum Informationsangebote und auch keine unabhängigen Informations- und Beratungsstellen für Sporteltern. Zudem haben die meisten Mütter und Väter keine eigenen Erfahrungen im Leistungssport gesammelt und können oft auch nicht – anders als in den meisten Erziehungsfragen – in ihrem sozialen Umfeld auf Personen zurückgreifen, die sich in vergleichbaren Situationen befanden, um sich auszutauschen, um Rat einzuholen, um wichtige Entscheidungen abwägen zu können.

Darum müssen sich Sporteltern für den Ausgleich des Familiensystems vieles selbst herleiten, machen folglich auch unbeabsichtigt vieles verkehrt. Und selbst wenn die Balance erreicht wurde, gibt es immer wieder neue Störungen, die mit der Leistung des Kindes eng in Verbindung stehen, beispielsweise durch die Talentförderung (Leistungsdruck, Konkurrenz, Erfolglosigkeit, Stammplatzverlust, Verletzung, Leistungseinbruch etc.), von innen (verständnislose Geschwister, überengagierte Familienmitglieder, Krankheit, Beziehungsprobleme, Pubertät etc.) oder durch andere Mikrosysteme (Arbeitsplatzverlust, Todesfälle, Ende von Freundschaften und Beziehungen, politischer und gesellschaftlicher Wandel etc.). Bis hin zu dem Tag, wenn Talente aus verschiedensten Gründen aus der Talentförderung ausscheiden, der sogenannte «Drop-out» folgt und alles ins Gegenteil kippt. Dann wird es für Sporteltern besonders schwierig, wieder eine Familienbalance zu finden.


Nachwuchstrainer sind ein Schlüssel

Für die sportliche Förderung sind nun nicht die Eltern, sondern viele Tausend Jugendtrainer die entscheidenden Schlüsselfiguren. Von ihrer fachlichen Kompetenz und praktischen Umsetzungsfähigkeit hängt es ab, ob und wie sich ein Kind oder ein Team entwickelt. Gleichzeitig brauchen Trainer auch Empathie, pädagogische und psychologische Fähigkeiten, um Fortschritt oder Stagnation in den richtigen psychosozialen und ökosystemischen Zusammenhang setzen zu können. Kommen jetzt noch die Bedürfnisse der Eltern hinzu, scheint das zu leistende Pensum häufig den Rahmen des Möglichen zu sprengen. Die Folge daraus ist häufig eine freundliche Distanz zwischen Trainern und Sporteltern.

Wer sich aber dafür entscheidet, in der Talentförderung zu lehren, egal ob am Stützpunkt oder im Verein, hat immer auch die Eltern der Talente mit einzukalkulieren und sollte gut auf das soziale Umfeld vorbereitet sein. Wer also mangels eigener Kinder selbst keine praktischen Erfahrungen einbringen kann, wie Eltern nun mal so ticken, welche verschiedenen Typen es gibt und warum Eltern zum Schutz ihres Kindes häufig nicht dem Verstand, sondern ihrem Instinkt folgen, nur um dann in die sogenannten Elternfallen zu tappen, ist gut beraten, sich weiterzubilden, um mögliche Brücken zwischen Trainern und Sporteltern kennenzulernen.


Kein Fußballtalent ohne Eltern

Nur durch eine bedingungslose Unterstützung der ganzen Familie haben Kinder und Jugendliche eine Chance, ihren Weg in der Talentförderung zielgerichtet zu verfolgen und den Spaß dabei zu behalten. Eltern und Familien sollten daher systematisch auf dem Karriereweg ihres Kindes begleitet, informiert und unterstützt werden, heißt es auch in einer aktuellen Studie zum Thema «Wahrgenommene Stressoren von Eltern im Breitensport Fußball» der Deutschen Sporthochschule Köln vom September 2023. Im Idealfall werden Sporteltern gar zum integrativen Teil der Förderstrukturen in Verbänden, Vereinen und an Förderstützpunkten. Dafür braucht es eine neue Bewegung und ein Wir-Gefühl zwischen Eltern, Trainern, Verantwortlichen und Schutzbefohlenen in der Talentförderung. Dann kann sich ein Kind ganzheitlich und in einem sicheren Umfeld als Talent, aber auch als Mensch entwickeln und auf ein selbstbestimmtes Leben vorbereitet werden.


Fünf Tipps für Sporteltern

Bedingungslosigkeit: Eltern dürfen die Leistungserwartung an ihr Kind niemals in den Vordergrund stellen. Sonst kann das zu Belastungen bis hin zu Schuldgefühlen und Ängsten führen. Die Freude ist die Gegenspielerin der Angst. Darum ist es entscheidend, ein Kind frei von Bedingungen zu begleiten und zu unterstützen.

Vorbilder: Eine sehr wichtige Elternrolle ist die des Vorbilds. Gleichzeitig sind Eltern zusammen mit dem engsten Familienkreis die einzige Konstante über die Dauer der Förderung. Eltern müssen sich dieser Gesamtverantwortung für alle ihre Kinder immer bewusst sein – auf und neben dem Platz.

Familienmanagement: Die einschneidendste Erfahrung mit der Talentförderung betrifft das sich ändernde Zeit- und Organisationsmanagement. Für das Talent und ebenso für die Familie. Gleichzeitig dürfen sich Geschwister nicht zurückgesetzt fühlen. Prioritäten sind zu setzen und die Familienplanung ist mit allen abzustimmen.

Sponsoring: Die Talentförderung belastet das Familienbudget nicht unerheblich. Eltern sollten rasch abschätzen, ggf. konkret rückfragen, welche Kosten für Kleidung, Fahrten, Ausbildungspauschalen oder die Gesundheit über einen längeren Zeitraum anfallen werden, um Überraschungen vorzubeugen.

Sportelternbeauftragte: Führt die Talentförderung in ein Nachwuchsleistungszentrum, haben Sporteltern seit dieser Saison einen Beauftragten. Er ist Ansprechpartner für deren Bedürfnisse und für Aufklärung verantwortlich. Vergleichbares könnte auf Eigeninitiative hin in Vereinen und Förderstützpunkten installiert werden.


Aufgaben der Eltern

Spitzenförderung
Entscheidung über Ende oder Fortgang der Talentförderung als Jung-Profi
schrittweise Begleitung (mit Berater) in Liga 1, 2, 3 oder ins Ausland
finanzielle und gesundheitliche Absicherung
wichtigste Vertrauenspersonen und Vorbilder. Nach dem «Drop-out» bleiben die Eltern mitverantwortlich für den weiteren Weg mit allen psychosozialen Herausforderungen.

Eliteförderung
Fahrten zu DFB-Maßnahmen
Abwicklung der DFB-Korrespondenz für Lehrgänge und Länderspielphasen
Koordination der Abstellzeit mit der Schule
Fahrten zu Länderspielen, teils im Ausland, und ggf. zu internationalen Turnieren mit Begleitorganisation in Eigenregie
Handling Scout-, Vereins- und Berateranfragen
Bewertung von Ausstatterangeboten
Vertragsnehmer bis zur Volljährigkeit
Sensibilisierung für zunehmend veränderte Verhaltensweisen des Umfelds

Talentförderung 2. Stufe
4 bis 5 Trainingsfahrten pro Woche
ggf. Koordination Auszug
Spielbesuche, Turniere mit Übernachtung
Übernahme der Kosten für Trainingskleidung oder Ausbildung
Abstimmung Schule und Leistungskontrolle
neue Familien- und Ferienplanung
Sensibilisierung für Dopingkontrollen
Förder- und Internatsvertragsnehmer
Sensibilisierung für verändertes soziales Umfeld
Handling Beraterkontakte

Talentförderung 1. Stufe
Begleitung bei Sichtung, Stützpunkttraining, Vergleichsturnieren, Landesauswahlspielen
Koordination erste Vereinsanfragen
Organisation Vereinswechsel mit möglichen Dissonanzen mit dem Heimatverein

Kinderfußball
Begleitung bei Spieltagen und Turnieren
Trikot- und Fahrdienste
Dienste bei Sportfesten


5 Tipps für Nachwuchstrainer

Kommunikation: Wer seine Kommunikationskanäle öffnet, auch über die eigene Arbeit, wird Wundersames erleben. Eltern fühlen sich abgeholt, verstanden, aufgeklärt und informiert – in Summe wertgeschätzt. So können sie das Handeln des Trainers neu einordnen und werden Konfliktsituationen passender lösen.

Rollenklarheit: Sie ist die Voraussetzung für eine zielführende Kommunikation mit Sporteltern. Zu Beginn jeder Zusammenarbeit sollte mit allen Beteiligten immer wieder abgeklärt werden, was die gegenseitigen Erwartungen sind und in welchen Rollen sich jeder befindet. So wird elterlichem Fehlverhalten vorgebeugt.

Elternfallen: Unvorbereitete Sporteltern tappen ständig in Elternfallen (Überidentifikation, Überengagement, Schutzreflex, falsche Ziele), weil sie falsch motiviert oder instinktiv handeln. Für Trainer ist dann Gelassenheit angesagt und, mit Abstand, im zweiten Schritt ein Gespräch – klar geführt, sachlich und lösungsorientiert.

Wertschätzung: Der Einsatz der Eltern und auch der Familie für die Talentförderung darf niemals als selbstverständlich angesehen werden. Allein ihr zeitlicher Aufwand ist mit einem Minijob vergleichbar. Wer dies wertschätzt, formuliert, wer nahbar handelt, wird Gleiches für die eigene Arbeit erfahren.

Vertrauen: Trainer sind für die anvertrauten Talente und deren Eltern absolute Vertrauenspersonen. Aber Achtung: Dieser Kredit ist endlich. Darum muss immer verantwortungsvoll, zuverlässig und ehrlich gehandelt werden – notfalls entgegen anderen Interessen. Dann findet Entwicklung statt. |