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Von Fabian Diehr

Manfred Pirk und das SOS-Feriencamp in Caldonazzo

Erinnerungen fürs Leben

Fabian Diehr im Gespräch mit Manfred Pirk | Jedes Jahr in den Sommerferien reist Manfred Pirk als ehrenamtlicher Helfer ins Camp der SOS-Kinderdörfer nach Caldonazzo bei Trient. Direkt am See liegt das Feriendorf, das zwischen Juni und August bis zu 1500 Kinder aus ganz Europa beherbergt. Eines davon war Pirk übrigens früher selbst.

Herr Pirk, welche Erinnerungen verbinden Sie selbst mit dem SOS-Feriencamp Caldonazzo?

Als ich fast drei Jahre alt war, starb meine Mutter – der Vater wollte nichts von uns wissen … Ich bin das jüngste von elf Kindern und unsere Oma konnte nicht alle versorgen. Viele der Geschwister waren im Heim, drei waren mit mir in einem SOS-Kinderdorf in Sulzburg im Schwarzwald. Und so durfte ich, als ich acht Jahre alt war, das erste Mal mit nach Caldonazzo und dann fünf Jahre hintereinander bis zum Start meiner Ausbildung. Ich hatte dort viele Kontakte mit anderen Kindern, es gab viele Beschäftigungsmöglichkeiten und natürlich den See – für mich war es also immer ein schönes Erlebnis, an das ich gerne zurückdenke.

Wie kann man sich das Leben in einem Kinderdorf damals vorstellen?
Im März 1960 bin ich ins Kinderdorf gekommen. Es war natürlich alles nicht sonderlich modern. Es gab eine Kinderdorf-Mutter, die bis zu zehn Kinder betreut hat. Hauptsächlich ging es darum, den Kindern ein Dach über dem Kopf zu bieten und sie zu versorgen. Das Pädagogische stand noch nicht sonderlich im Vordergrund. Auch im Feriencamp ging es eher ein wenig militärisch zu: In der Früh gab es beispielsweise einen Aufweckappell mit Trompete und wir mussten dann alle vor dem Zelt mit unseren Waschbeuteln antreten.

Es hat sich inzwischen also viel verändert?
Auf jeden Fall. Jungs und Mädchen werden nicht mehr getrennt. Viele Betreuer sind ausgebildete Pädagogen und das Angebot für die Kinder ist viel breiter: Wir haben damals eigentlich nur Fußball spielen können – das war aber bei Weitem nicht das Schlechteste … So habe ich auch gleich in meinem ersten Jahr ziemlich schnell Freunde gefunden und hatte eigentlich gar kein Heimweh.

Also eine gute Zeit in Caldonazzo!
Klar, wir hatten auch die Freiräume für das, was man als Kind machen möchte. Wir haben uns auch manchmal aus dem Camp geschlichen, um in den benachbarten Plantagen etwas Obst zu «besorgen». Und auch meine erste Freundin habe ich als 14-Jähriger hier kennengelernt – Marie, sie kam aus Österreich …

Inzwischen sind Sie als Erwachsener ins Feriencamp zurückgekehrt und engagieren sich ehrenamtlich. Wie kam es dazu?
Ich habe immer viel von meiner Kindheit und eben auch den Erlebnissen in Caldonazzo gesprochen und irgendwann wollte meine Frau diesen Ort mit eigenen Augen sehen. Im Alter von 50 bin ich also zum ersten Mal mit ihr hingefahren – und seitdem dort hängen geblieben. Nachdem ich in meiner Freizeit viel mit Fußball zu tun habe, habe ich das auch ins Feriencamp getragen. Meine Schiedsrichterkollegen, aber auch der Südbadische Fußballverband haben mich dabei sehr unterstützt. Wir machen regelmäßig Tombolas, um Spendengelder für die Kinderdörfer zu sammeln. Zusätzlich organisieren wir über den Verband Aktionen mit dem DFB. Da können die Kinder dann beispielsweise ein Fußballabzeichen machen und bekommen Trikots und Bälle. Dass Material fürs Training und fürs Spiel fehlen, ist leider immer wieder ein Problem.

Sie sind in Ihrer Freizeit sehr aktiv: Sie engagieren sich nicht nur bei den SOS-Kinderdörfern, sondern sind auch stellvertretender Vorsitzender des Fußballbezirks Freiburg, und hier Turnier-Sachbearbeiter und Leiter der Inklusionsliga. Wie bekommen Sie das alles mit Ihrem Berufsleben vereinbart?
Ich bin selbstständig – anders ginge es nicht. So kann ich tagsüber in Leerlaufzeiten, die immer wieder mal entstehen, auch mal andere Dinge unterbringen, wie eben auch das Ehrenamt.

Was gibt Ihnen das Ehrenamt zurück?
Eine solche Tätigkeit stärkt definitiv das Selbstbewusstsein. Als Kind gehörte ich immer zu «denen vom Kinderdorf». Das ist wie ein Stempel, den man mit sich trägt. Insofern war es auf jeden Fall ein Ansporn für mich, zu beweisen, dass ich etwas bewegen kann. Und ich möchte dabei ein Vorbild für die Kinder sein und ihnen zeigen, was man alles schaffen kann – auch wenn der Weg manchmal schwierig erscheint.

Wie reagieren die Kinder auf Sie?
Wenn die Kinder merken, dass ich sehr bodenständig bin, kommt das gut an. Und wenn sie dann noch erfahren, dass ich selbst im Kinderdorf war, macht mich das für den ein oder anderen einfach nahbarer. Wesentlich ist aber zu vermitteln, dass man die Kinder ernst nimmt und sie mag – egal wer sie sind und woher sie kommen. Und die Kinder spüren sofort, ob man das ehrlich meint. Nachdem ich jedes Jahr ins Camp komme, kenne ich inzwischen natürlich auch viele Kinder und sie kennen mich. Wenn sie dann rufen «Hallo Manni!», dann geht mir das Herz auf …

Welche Rolle spielt der Fußball bei Ihrer Arbeit im Feriendorf?
Über nichts kann man besser einen Zugang zu den Kindern finden als über Fußball. Die Kinder suchen nach einer Sportart und beim Fußball steht einfach das Gemeinschaftliche sehr im Vordergrund. Das macht ihnen Spaß. Das war übrigens schon zu meiner Zeit so: Im Kinderdorf wollten so viele Fußball spielen, dass wir sogar eine eigene Mannschaft stellen konnten. Fußball geht auch, wenn es nur einen Acker zum Spielen gibt, aber mit einem richtigen Feld funktioniert es noch besser. Und nachdem die Voraussetzungen im Feriendorf da sind, wird das wirklich sehr gerne angenommen.

Ins Feriencamp in Caldonazzo kommen zurzeit auch ukrainische Kinder, die vom Krieg betroffen sind. Belastet Sie das? Man kämpft so viel darum, das Leben der Kinder besser zu machen und dann sieht man, wie schnell die Perspektive junger Menschen zerstört werden kann …
Natürlich geht mir das nahe. Aber es ist nicht so, dass diese Kinder verloren sind. Wenn man sich etwas einfallen lässt, dann können auch ihre Augen wieder strahlen. Was mich noch mehr beschäftigt, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern. Das ist etwas, das nicht nur entfernt in anderen Ländern, sondern auch bei uns direkt hinter der nächsten Haustür stattfindet. Ich habe schlimme Geschichten erfahren müssen – da sind Drogen und Alkohol noch das geringere Übel.

Wie schafft man es, dass solche Kinder wieder eine positive Lebenshaltung einnehmen?
Wichtig ist erst einmal, sich klarzumachen, dass es geht. Die Kinder wünschen sich im ersten Schritt, jemandem vertrauen zu können, und wenn man auf sie zugeht, können sie sich oft auch dafür öffnen. Mir ist es wichtig, zu vermitteln, dass man sich im Leben immer wieder aufrappeln kann!

Gibt es einen Rat, den Sie den vielen Ehrenamtlichen in den Vereinen mitgeben möchten?
Dass man keine Furcht haben darf, wenn man etwas über Menschen nicht weiß. Am Ende sind sie alle gar nicht so anders. Ich denke da beispielsweise an die Inklusionsliga: In Freiburg sind wir die Einzigen mit einer ganzen Staffel, also sechs Mannschaften, in denen Menschen mit und ohne Behinderung zusammenspielen. Es ist schade, dass es das nicht in allen Fußballkreisen bzw. -bezirken gibt. Wenn man einfach die Scheu vor so etwas weglässt, dann funktioniert es auch, da bin ich mir sicher! |