Von Red.
Druck im Kinderfußball
Zwischen Emotionen und falschem Ehrgeiz
von Sadik Alkan, Vivian Capitano, Jakob de Santis und Monique Donat | «Tätlichkeit», «Eskalation», «Spielabbruch». Es sind Begrifflichkeiten aus einem Spielbericht der E-Jugend, die aufhorchen lassen. Auch wenn es sich um Ausnahmen handelt, Berichte über verbale und mitunter gar körperliche Gewalt erschüttern uns, insbesondere im Jugendfußball. In einem Bereich, in dem es doch wirklich nur um den Spaß am Kicken geht – oder nicht? Woran liegt es, dass sich negative Gefühlsausbrüche und verbale Gewalt – auch im Kinder- und Jugendbereich – hin und wieder Bahn brechen? Im Spielbericht wagt sich der Unparteiische an einen Erklärungsversuch: «Bereits während des Spiels herrschte großer Druck von außen, insbesondere durch die Trainer beider Mannschaften, die ihre Kinder lautstark antrieben und dadurch eine aufgeheizte Stimmung schufen.»
Überhöhte Erwartungen
Laurin Herrmann kennt diese Situationen. Der D-Jugendtrainer der SGM Plieningen-Birkach im Stadtkreis Stuttgart erlebt regelmäßig, wie Kinder auf dem Spielfeld unter Druck gesetzt werden. «Obwohl wir uns im Amateurbereich befinden, nehme ich auf jeden Fall Druck von außen wahr», berichtet er und ergänzt: «Es wird häufig reingeschrien, sowohl von Trainern als auch von Eltern.» Das erzeuge Spannungen auf dem Spielfeld.
Was ein solches Verhalten der Eltern bei Kindern auslösen kann, hat die Universität Münster 2020 untersucht. Laut ihrer Studie berichteten 47 Prozent der befragten Kinder, dass sie sich gestresst fühlen, wenn sich Eltern zu stark in den Sport einmischen. Besonders störend offenbar: Anweisungen von der Seitenlinie, verbale Vergleiche mit anderen Kindern und unrealistische Erwartungen ans eigene Kind. Herrmann bestätigt das: «Einige Eltern haben überhöhte Erwartungen. Obwohl ihr Kind nicht im Leistungssport unterwegs ist, stellen sie ihre eigenen Erwartungen in den Vordergrund.» Bei der SGM Plieningen-Birkach halte sich dieses Problem in Grenzen. «Wir haben riesiges Glück mit den Eltern bei uns», sagt Herrmanns Trainerkollege Manuel Schmidt. «Doch wir erleben es ständig, wie bei den Gegnern von außen reingeschrien wird. Teilweise sehr abwertend gegenüber den eigenen Kindern.» Dabei bringt die Kinder nach einem Fehler etwas anderes weiter, wie Maxim Garipov verrät, der schon lange in Birkach kickt: «Aufmunterung, das hilft mir – und Videospiele», fügt er mit einem Grinsen hinzu.
Zwischenrufe stören
Die Realität ist oft eine andere – auf einigen Sportplätzen gehört ein ruhiges Miteinander nicht immer zum Standard. Das weiß auch Daniel Stredak. Der A-Lizenz-Inhaber ist aktuell Co-Trainer der U 20-Nationalmannschaft des DFB unter Chefcoach Hannes Wolf. Zuvor war er vier Jahre im Nachwuchsbereich des 1. FC Heidenheim tätig, zuletzt als Leiter der vereinseigenen Fußballschule. Stredak blickt kritisch auf überbordende Einmischung von außen während eines Spiels – selbst, wenn es sich um gut gemeinte Ratschläge handelt. «Auch inhaltliche Zwischenrufe sind kontraproduktiv. Denn das Kind soll lernen, selbst Entscheidungen auf dem Platz zu treffen. Wenn es die ganze Zeit von außen gesagt bekommt, was es tun soll, schränkt man es in seiner Kreativität ein», sagt Stredak.
Und dennoch: Zwischenrufe von außen sind auf den deutschen Sportplätzen Alltag – egal, in welcher Alters- oder Leistungsklasse. Doch Stredak möchte sich, wie viele andere auch, nicht damit abfinden. Zu groß sind die negativen Auswirkungen des Drucks auf die Kinder und Jugendlichen. Wie er das Problem angeht? Mit Kommunikation. Der 35-Jährige berichtet von einem Moment in seiner Trainerlaufbahn, in dem er sich gezwungen sah, konsequent durchzugreifen: «Einmal habe ich einen Spieler ausgewechselt, weil der Vater die ganze Zeit reingerufen hat. Ich habe zu ihm gesagt: Du musst jetzt rüber zu deinem Papa gehen und sagen, dass er bitte nicht reinrufen soll. Sonst kannst du gar nicht mehr spielen, denn dann kannst du dich nicht mehr gut konzentrieren.» Er habe darauf geachtet, freundlich und vollkommen sachlich mit seinem Spieler zu kommunizieren. Der Spieler sei zu seinem Vater, habe mit ihm gesprochen und sei wiedergekommen. «Dann durfte er auch wieder spielen. Und ab dem Zeitpunkt war der Papa still.»
Trainer sind Vorbilder
Stredak geht voran – und dient damit als Beispiel für einen guten Umgang mit seinen Spielern und deren Umfeld. Denn klar ist: Trainerinnen und Trainer sind zentrale Figuren für die Kinder. Das betont auch Shannon Straube. Die Sportpsychologin betreut die Kicker im Nachwuchs-Leistungszentrum des 1. FC Heidenheim. «Trainer sollen ein Role-Model für Spieler sein», sagt Straube. «Sie sollen als Vorbild vorangehen und den Kindern und Jugendlichen helfen, einen gesunden Umgang mit ihren Emotionen zu erlangen.»
Was der Psychologin wichtig ist: Emotionen seien an sich nichts Negatives. Vielmehr gehörten sie zum Sport dazu und müssten lediglich in die richtigen Bahnen gelenkt werden. «Die Aufgabe der Kinder ist es, in den ersten Jahren zu lernen, wie sie ihre Emotionen so regulieren können, dass es ihr Verhalten auf dem Spielfeld unterstützt.» Entsprechende Regeln für die Eltern können helfen, Druck von außen zu reduzieren oder gar zu verhindern. Im württembergischen Kinderfußball wird nach den Regeln der Fairplay-Liga gespielt. Diese beinhalten u. a. die Elternregel, die besagt, dass alle Zuschauer hinter der Barriere des Großspielfeldes stehen müssen. Von außen darf gejubelt und gefeiert werden, doch auf ein Lenken und Korrigieren durch Eltern sollte bewusst verzichtet werden, um die Kinder nicht zu verwirren.
Vom Spaß zur Leistung
In einem Punkt sind sich alle Beteiligten einig: Der Spaß am Spiel muss im Vordergrund stehen. Nur so könne die Lernkurve der Kinder nach oben zeigen. So besagt es auch die neue «Trainingsphilosophie Deutschland», die DFB-Nachwuchsdirektor Hannes Wolf im Kinder- und Jugendbereich implementiert hat. In diesem Konzept stellt «Freude» eine von drei zentralen Säulen dar. «Wenn man etwas mit Freude macht, wird man viel schneller besser darin als bei Dingen, die man nicht gern macht», fasst es DFB-Coach Daniel Stredak zusammen.
Es ist ein langer Weg, ein Weg mit Höhen und Tiefen, individuell bei jedem Kind – doch es lohnt sich, ihn zu gehen. Damit Begriffe wie «Tätlichkeit», «Eskalation» und «Spielabbruch» wieder komplett aus den Spielberichten verschwinden. Shannon Straube bringt es auf den Punkt: «Alle Emotionen sind erlaubt, aber nicht jedes Verhalten!» | Sadik Alkan, Vivian Capitano, Jakob de Santis und Monique Donat, Hochschule der Medien, Stuttgart