Von Roman Horschig
Kinder- und Jugendschutz
Erfolgreiche Konzepte in den Vereinen
| Die Kindheit und die frühe Jugend zählen zu den wichtigsten Phasen im Leben eines jeden Menschen. In kaum einer anderen Zeit wird eine Person so stark geprägt und in kaum einer anderen Zeit sind positive Vorbilder wichtiger. Genauso kommt es aber auch darauf an, die jungen Menschen vor negativen und traumatisierenden Einflüssen zu schützen. Und somit zählt der Jugendschutz zu den relevantesten gesellschaftlichen Themen überhaupt.
Das weiß auch Lars Weirauch, der 2015 das erste Mal mit diesem sehr wichtigen Thema im Fußball in Berührung kam. Seine beiden Töchter kickten damals beim SV Kehlen im Bodenseekreis, wo ein Jugendschutzkonzept für Vereine verpflichtend wurde. Mit großer Motivation widmete sich der Familienvater dem Thema und ist heute, neun Jahre später, so etwas wie ein Experte in diesem Bereich. Mittlerweile ist er – wie auch seine Töchter – beim TSV Tettnang aktiv und bringt hier seine Ideen genauso engagiert voran. «Ungefähr zwei Stunden pro Woche stecke ich in die Thematik, aber das ist es mir in jedem Fall wert», sagt der ehrenamtliche Projektleiter.
In seinem Verein stehen regelmäßige Schulungen für alle Beteiligten auf der Tagesordnung, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis ist Pflicht für jeden Übungsleiter. In klassischen Grün-Gelb-Rot-Kategorisierungen werden auch immer wieder mögliche Fälle und Situationen im kleinen Kreis durchgegangen. Ob ein C-Jugendtrainer gemeinsam mit den Jungs duscht, ist beispielsweise so ein Fall, wo die Meinungen erst mal auseinandergehen. Der Diskurs ist wichtig, um dann auch im echten Leben Dinge klar einschätzen zu können. Es gilt, ein Bewusstsein zu schaffen, auch für Themen wie Mobbing und den generellen Umgang miteinander.
«Zuerst kommen die Eltern, dann die Lehrer und dann die Trainer. Niemand davon können sich unsere Jüngsten aussuchen. Das ist eine Mordsverantwortung!», betont der engagierte Ehrenamtler und bringt die Situation somit auf den Punkt. Grobe Fälle von Übergriffigkeit oder Grenzüberschreitungen gab es beim TSV in den vergangenen Jahren nicht. Es scheint eine Tatsache zu sein: Vereine, die ein Jugendschutzkonzept praktisch umsetzen, schrecken mögliche Täter ab.
Das sagt auch Oliver Deutscher, der beim wfv für das Thema im Hauptamt verantwortlich ist. «Die Sensibilität in den Vereinen für den Jugendschutz ist deutlich gestiegen», erklärt der Funktionär. Der wfv arbeitet in diesem Bereich eng mit dem DFB und der württembergischen Sportjugend zusammen. Spannend ist derzeit vor allem das frisch ins Leben gerufene Banner «Kinderschutzgebiet Sportverein». Diese nachhaltige Auszeichnung kann sich jeder Fußballclub sichern, der einige Vorgaben erfüllt. Unter anderem sind die Unterzeichnung der Kinderschutzvereinbarung des Jugendamts und die Erstellung eines eigenes Jugendschutzkonzepts nötig. «Das sind alles sinnvolle Dinge und mit etwas Zeit einfach umzusetzen», beschreibt der erfahrene Weirauch den Aufwand. Seine drei Ratschläge an jeden Verein: Erst informieren, dann eine verantwortliche Gruppe bilden und am Ende alle ins Boot holen.
Wichtig ist immer, dass der gesamte Vorstand des Vereins mitzieht. Nur dann kann so ein Projekt nachhaltig Fahrt aufnehmen. Erste Informationsquelle könnte hier eine Club-Beratung sein, die alle Landesverbände im Rahmen des DFB-Masterplans anbieten und in der der Jugendschutz auch fester Bestandteil ist. «Wir wollen eine Kultur des ‹Genauer Hinschauens› schaffen», erklärt Oliver Deutscher.
Mit regelmäßigen Terminen zum Kinderwohl
Als Nächstes schauen wir in den Breisgau zu einem Verein, bei dem diese Kultur bereits fest verankert ist: dem SC Freiburg. Der Bundesligaclub setzt Maßstäbe im Bereich Jugendschutz, erst recht seit der Lizenzierung des eigenen Nachwuchsleistungszentrums im Jahr 2019. Mit insgesamt 13 Nachwuchsteams gehört der SC auch in dieser Kategorie zu den Schwergewichten der Region. Und wenn man sich die Aktivitäten des Vereins ansieht, fällt als Erstes etwas Handfestes auf: eine Broschüre zum Thema, die jedem Elternteil ausgedruckt ausgehändigt wird. Diese wird dann von den Erziehungsberechtigten gemeinsam mit den Kindern angeschaut und am Ende auch unterschrieben. Im hochwertigen Dokument werden vor allem die Rechte der Kinder hervorgehoben und diesen bewusst gemacht. «Du hast das Recht auf Schutz vor Gewalt» oder «Du hast das Recht auf Pause und Erholung» sind klare Statements, die den Kindern helfen, sich selbst zu stärken und zu erkennen.
Der Traditionsverein arbeitet eng mit dem Verein Wendepunkt zusammen, der sich auf Gewaltprävention bei Kindern spezialisiert hat. Auch die Kindernothilfe und in rechtlichen Fragen eine Kanzlei sind bei ernsthaften Problemen zur Stelle. Kinder- und Jugendschutz maximal professionell – dazu gibt es intern eigene Anlaufstellen, regelmäßige Elternabende und im Ernstfall einen klaren Interventionsplan.
«Uns war es wichtig, dass wir dem Thema auch klare Gesichter geben. Jeder im Verein weiß, an wen er sich im Ernstfall wenden kann», sagt Niklas Ziegler, der in der Abteilung für Nachhaltigkeit beim SC Freiburg arbeitet. Neben der alltäglich präsenten Arbeit gibt es hier auch immer wieder größere Leuchtturmveranstaltungen. Am 20. September, dem Weltkindertag, fand ein großer Aktionsspieltag mit allen Teams des Bundesligisten statt. Ende September zog dann auch die erste Mannschaft im Stadion nach: Beim Duell mit dem FC St. Pauli gab es ein umfangreiches Rahmenprogramm mit vielen Informationsständen. SC-Kapitän Christian Günther bekam eine spezielle Binde und fragte nach dem Spiel, ob er diese denn von nun an immer tragen könnte. Eine kleine Geste mit großer Wirkung. Doch was sind das eigentlich für Fälle, die im Alltag vorkommen?
«Es sind viele Dinge, die die jungen Menschen beschäftigen. Das kann von Beleidigungen auf Social Media bis hin zum vielleicht etwas dunklen Weg zum Parkplatz vieles sein», sagt Dorinja Weizel, die beim SC in der Nachhaltigkeitsabteilung arbeitet und sich auch speziell mit dem Thema Kinderschutz auseinandergesetzt hat. Gewalt und sexuelle Übergriffe sind meistens Themen, die jedem als Erstes in den Sinn kommen. Doch auch Mobbing, Ausgrenzung und psychische Überlastung sind Dinge, vor denen Kinder geschützt werden müssen. Um dies auch in der Breite weiter zu fördern, hat der SC sich etwas Besonderes ausgedacht. Weizel ist federführend bei einer Aktion, die Sportvereine an diese wichtigen Themen heranführen will.
60 Vereine werden für ein umfangreiches Programm ausgewählt, das im Februar 2025 startet. Insgesamt gibt es acht Veranstaltungen, an deren Ende jeder teilnehmende Verein ein umfassendes Kinder- und Jugendschutzkonzept vorweisen kann. Das Programm dauert eineinhalb Jahre und wird von der Badischen Sportjugend unterstützt. Der Titel: «Schutzschild im und für den Sport». Am Ende des Tages ist es auch ein großes Ziel, dass die Vereine sich mit ihrem erworbenen Know-how und ihren Erfahrungen gegenseitig unterstützen – und dass sich das wertvolle Wissen weit über die 60 Clubs der ersten Runde hinausträgt.
Über Kinder und Jugendliche hinausdenken
Ein Verein, der das Thema auch ohne Programm in die Hand genommen hat, ist der TSV Stettfeld aus dem Landkreis Karlsruhe. Yvonne Feil, Mutter zweier Söhne, engagiert sich gemeinsam mit ihrem Kollegen Roberto Milingi schon lange bei ihrem Club. Zum Start ihrer Tätigkeit hat die ausgebildete Erzieherin zusätzlich eine Fortbildung im Bereich «Prävention sexualisierter Gewalt» abgeschlossen. Das Thema Jugendschutz kam während Corona auf und hat sich seitdem durchgängig weiterentwickelt. «Die Trainer sind bei diesem Thema die allerwichtigsten», sagt Feil entschieden, «sie sind an vorderster Linie: Früher war es im Fußball normal, ein Kind tröstend in den Arm zu nehmen. Heute wissen wir, dass das schnell in eine problematische Richtung gehen kann. Es gilt zu sensibilisieren!»
Insgesamt 174 Kinder und Jugendliche trainieren im Verein, die Übungsleiter erhalten spezielle Schulungen. Es geht darum, genau hinzuschauen und die jungen Menschen zu beobachten. «Wenn beispielsweise ein extrovertierter Junge neu in eine höhere Mannschaft kommt und dann nach ein paar Wochen plötzlich in sich gekehrt ist, dann ist das ein klares Zeichen, dass etwas nicht stimmt», erklärt Feil. Nicht immer ist es leicht, ernsthaftes Mobbing vom harmlosen sich gegenseitig spielerischen Ärgern zu unterscheiden.
Um Dinge klarer zu machen, wurde in Stettfeld auch ein Maskottchen eingeführt: Augi. Das Erdmännchen ist ein Symbol für die Kinder und kommt gerade bei den Jüngsten sehr gut an. Eine Botschaft des Maskottchens an sie ist: Achtet auf euer Bauchgefühl! Wenn dieses schlecht wird, dann ist das ein klares Zeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wichtiger Input für den Nachwuchs, der vom Landratsamt Karlsruhe auch mit dem Zertifikat «Verein aktiv im Jugendschutz» belohnt wurde. Auch in Stettfeld gab es seit der Einführung des Jugendschutzkonzepts keine ernsthaften Fälle oder Probleme in diesem Bereich. Die Wirkung einer solchen Arbeit nach außen und auch nach innen ist einfach nicht zu unterschätzen.
Nah dran an Kindern und Jugendlichen
Wenn man sich an seine eigene Kindheit und Jugend zurückerinnert, wird es sicher Momente geben, wo man sich Support und Unterstützung gewünscht hätte. Und der Sport zählt in Deutschland zu den wichtigsten Dingen für junge Menschen. Gerade deshalb ist es hier so wichtig, genau diese Unterstützung anzubieten. «Der Schutz und die Sicherheit der Kinder ist mit das Wichtigste», sagt Oliver Deutscher mit klarer Stimme. Vermutlich untertreibt er damit sogar noch etwas. Vielleicht ist es das Wichtigste! | Roman Horschig