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Von Red.

Interview mit Uwe Stahlmann

Sicherheit bei Fußballspielen

Heiner Baumeister, Fabian Diehr und Thorsten Kratzner im Gespräch mit Uwe Stahlmann | Eskaliert die Stimmung unter den Fans bei einem Fußballspiel, dominieren aufgeregte Meldungen schnell die Medien. Der Zuständige für Sicherheit im Sport des baden-württembergischen Innenministeriums Uwe Stahlmann weiß jedoch: Ausschreitungen sind im Land eine Seltenheit – friedliche Spiele hingegen die Regel.

Herr Stahlmann, hat die Gewalt in Fußballstadien über die letzten Jahre hinweg zugenommen?
Wenn ich zurückdenke an meine Stadionbesuche in den 80er-Jahren, muss ich sagen: Die Ultras heute sind deutlich weniger gewaltbereit als die Hooligans damals. Gleichzeitig sind die Ultras aber viel mehr Personen – ihre schiere Masse kann noch einmal eine ganz besondere Dynamik erzeugen. Genau deswegen hätten wir ein großes Problem, wenn alle Ultras wirklich gewaltbereit wären. Das sind aber die wenigsten. Schauen wir uns die Statistiken an, ist klar, dass Ausschreitungen die Ausnahme sind. Wenn die «Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze» pro Jahr von 1200 Verletzten berichtet, dann gilt das für 1000 Spiele. Das klingt zunächst viel, ist aber im Verhältnis zur Anzahl der Spiele und der Zuschauerzahl niedrig. Bei den allermeisten Partien ist also gar nichts passiert. In Stuttgart hatten wir bei durchschnittlich 60 000 Besuchern fünf bis acht Straftaten und rund 0,8 Verletzte pro Spiel zu verzeichnen. Bei Musikfestivals mit ähnlicher Besucherzahl passiert da in der Regel deutlich mehr. Natürlich kann es in besonderen Situationen auch zu Ausschreitungen kommen – so wie zuletzt Ende November in Frankfurt –, doch das ist die Ausnahme und betrifft in Baden-Württemberg nur maximal ein bis zwei Prozent der Spiele.

Wenn etwas passiert, gehen die Berichte davon jedoch schnell durch alle Medien.
Richtig. Keine Sportart wird besser abgelichtet als Fußball. Und über Vorfälle wird nicht nur einmal, sondern mehrfach berichtet. Dann heißt es schnell: Alles ist schlimmer geworden. Auf dem Cannstatter Wasen verzeichnen wir pro Besucher wesentlich mehr Straftaten als beim Fußball – nur sind da eben keine Reporter parat … Außerdem hat am Spielfeldrand heute sowieso jeder ein Handy mit Kamera dabei. Deswegen stehen Vorfälle auch in den unteren Spielklassen schnell und wirkungsvoll im Fokus der Medien.

Trotzdem: Könnte man die Anzahl der Vorfälle noch weiter senken?
Dass überhaupt nichts passiert, wäre zwar wünschenswert, geht aber an der Realität vorbei. Das gilt nicht nur für den Fußball, sondern für alle Lebensbereiche: Natürlich wollen wir eine Gesellschaft ohne Straftaten und natürlich versuchen wir diese zu verhindern, aber leider klappt es trotz aller Anstrengungen nicht, alles Unerwünschte auf null zu reduzieren – außer vielleicht in der Rubrik «Diebstahl aus Telefonzelle» – weil es diese gar nicht mehr gibt …

Man merkt ja auch – wie in England –, dass steriler Fußball nicht funktioniert, dass das Fehlen von Stehplätzen ein Stimmungskiller ist.
Klar, die Atmosphäre in deutschen Stadien ist ein Attraktionspunkt. Es findet ja ein regelrechter Tourismus aus anderen Ländern statt. Und für die Stimmung im Stadion ist maßgeblich die Kurve verantwortlich. Wenn ich mit meinen Söhnen beim VfB bin, sind für sie die Choreographien und die Gesänge der Fans genauso wichtig wie das Spiel selbst.

Hat sich hier die Stimmung verändert?
In den 80er-Jahren waren weniger Menschen bei den Spielen und die Stimmung war auf jeden Fall nüchterner. Heute ist so ein Stadionbesuch ein Event mit starken Emotionen. Deswegen kommen sogar Zuschauer ohne Fußballbezug – einfach, um das Gemeinschaftsgefühl zu erleben. Das empfinde ich als wichtig und auch als schützenswert.

Sie waren ja auch bereits als junger Polizist in Fußballstadien im Einsatz.
Genau, ich bin als uniformierter Einsatzbeamter schon im Stadion gestanden und habe auch vor dem A-Block Zuschauer durchsucht. Das wäre heute nicht mehr vorstellbar. Aber ich habe auch erlebt, wie Steine geflogen sind. Einmal ist es derart eskaliert, dass der Spielerbus des KSC komplett entglast wurde. Auch als Spieler habe ich schon Partien erlebt, die abgebrochen werden mussten. Und einmal ist sogar ein Zuschauer der gegnerischen Mannschaft mit dem Messer auf mich losgegangen … Das alles gilt es selbstverständlich zu verhindern.

Aktionen und Reaktionen – wie diskutieren Sie über die Präsenz der Polizei bei Fußballspielen, die durchaus den einen oder anderen Fan provozieren kann?
Es ist natürlich ein Unterschied, ob die Polizei erst kommt, wenn sie gerufen wird, ob sie vor Ort bestreift oder gar an einer neuralgischen Stelle aufgestellt ist. Wir beurteilen ständig, welche Maßnahmen zielführend sind und wie viele Beamte wo zum Einsatz kommen. Die Erfahrungswerte zeigen uns, wo wir etwas nachlassen können oder wo wir etwas bestimmter agieren müssen. Wenn die Situation es erlaubt, ziehen wir uns auch peu à peu zurück.

Für bestimmte Fangruppen werden auch schon mal Käfige aufgebaut. Nehmen die Fans das protestlos hin?
Die Entscheidung, ob eine Einzäunung erforderlich ist oder nicht, treffen die Kommune und der Verein. Wir geben da aber gerne Empfehlungen ab. Ich habe es auch schon erlebt, dass bei einem Spiel der Oberliga der Gästebereich mit einer Flatterleine abgesperrt wurde – und alle sind brav dahinter geblieben. Je nach Situation kann das also auch ausreichend sein.

In Baden-Württemberg gibt es seit sechs Jahren die «Stadionallianzen», bei denen sich die Sicherheitsakteure der relevanten Fußballspielorte planmäßig austauschen. Funktioniert dieses Modell?
Das ist unser Weg zu einer besseren, lageangepassten Ausrichtung von Sicherheits- und Präventionskonzepten. Ziel ist die Intensivierung der Zusammenarbeit von Clubs, Fanprojekten, städtischen Sicherheitsbehörden und polizeilicher Einsatzleitung bei der Organisation und der Durchführung von Fußballspielen. Dabei trifft sich in der Regel – unabhängig vom Spieltag – eine Handvoll Personen. Das ist eigentlich ganz banal, zugleich aber immer wieder eine neue Kommunikationsaufgabe, wenn es darum geht, eine Risikobewertung gemeinsam zustande zu bringen. Darin steckt aber das größte Potenzial, um gemeinsam größtmögliche Sicherheit bei den Spielen zu gewährleisten.

Und welches sind die größten Herausforderungen?
Schwierig wird es immer dann, wenn beispielsweise eine Mannschaft auf- oder absteigt und sich das Gefüge ändert. Eine besonders wichtige Rolle haben dann die Fanbeauftragten der Vereine. Denn sie können mit ihrer Expertise maßgeblich dazu beitragen, die Situation, die andere oft gar nicht beurteilen können, transparent und planbar zu machen. Dazu gehört beispielsweise auch die Betrachtung von Fanfreundschaften oder der Reisewege bei unterschiedlichen Partien an einem Spieltag – nicht, dass beim Umsteigen ein Bahnhof zum Brennpunkt wird.

Was immer wieder als Problem auftaucht, ist der Einsatz von Pyrotechnik. Wie sehen Sie das?
Wir müssen in den Stadien mehr über die Gesundheitsgefahren aufklären. Bislang haben die Sanktionen nicht dazu geführt, dass sich die Verwendung von Pyrotechnik hier reduziert. Ich persönlich würde gerne den Weg der Sensibilisierung gehen und die Fans mehr in die Selbstverantwortung nehmen, ganz ähnlich wie die wirksamen Kampagnen beim Nichtraucherschutz. Über allem steht die Sicherheit und Gesundheit der Zuschauer.

Müssen auch Amateurvereine bei ihren Veranstaltungen in puncto Sicherheit besser werden?
Gerade kleine Vereine haben oft ja gar nicht die personellen oder finanziellen Möglichkeiten, umfangreichere Sicherheitskonzepte umzusetzen. Man sollte hier den Clubs Luft zum Atmen lassen und zurückhaltend agieren. Häufen sich allerdings gewalttätige Aktionen, muss auch hier gezielt gegengesteuert werden.

Und wie läuft es in der Planung der Euro 2024?
Wir vom Ministerium sind Kontaktpunkt zur Veranstalterin. Wir bereiten uns in der Projektgruppe seit knapp fünf Jahren akribisch auf das Turnier und die Rolle Stuttgarts als Spielort vor – wenn möglicherweise 70 000 Fans in der Stadt auftauchen, wie es niederländische Fanorganisationen bei ihrem Besuch schon angekündigt haben. Das ist zunächst nicht bedrohlich, eher umgekehrt: Wir freuen uns alle sehr auf die EM bei uns – erwartete Fanbewegungen müssen idealerweise schon weit vor den Spieltagen geregelt werden.

Selbst sind Sie sicherlich Fan des VfB …
Ich bin Fan vieler baden-württembergischer Teams und habe die meisten auch als Favoriten auf meinem Handy. Ich kenne die Akteure persönlich und so entsteht ein Bezug zum Verein. Ich sehe auch gar keinen Grund, mich beim Fan-Sein auf nur einen Verein zu beschränken. Es ist doch wie in der Liebe: Man kann sie so oft vergeben, wie man will. Obwohl auch hier gilt: Die Tränen fließen nur bei der Liebe des Lebens – und das ist nun mal der VfB! |