Direkt zum Inhalt wechseln

Interview mit EURO-Cheforganisator Markus Stenger

7 Jahre Organisation für 4 Wochen EURO

Heiner Baumeister und Fabian Diehr im Gespräch mit Markus Stenger | Bunt und farbenfroher soll der Juni bei uns werden. Nicht nur weil der Sommer kommt, sondern weil zwischen dem 14. Juni und dem 14. Juli die EURO 2024 mit 24 Teams in Deutschland stattfindet und Fans aus allen Ländern mit Begeisterung und Vorfreude zu Gast sind. Einer der maßgeblichen Akteure hinter dem großen Sport­ereignis ist Markus Stenger. Der 48-Jährige ist derzeit noch als Geschäftsführer der EURO 2024 tätig, nach dem Turnier wird Stenger am 1. Oktober seinen Posten als DFB-Direktor für Amateurfußball und Nachwuchsentwicklung antreten.

Markus, 2018 hattest du bei der wfv-Pressetagung in Wangen das 868-seitige Bid Book des DFB zur Austragung der EURO 2024 mit im Gepäck. Ein Riesenprojekt, das du gemeinsam mit deinem Kollegen Jürgen Eißmann gestemmt hattest. Welches waren die größten Hürden auf dem Weg zur EURO?
Nun, zunächst stellten wir fest, dass wir nur einen Mitbewerber haben – die Türkei, die sich immer wieder sehr agil für die Austragung von Fußball-Endrunden bewarb, aber bis dato nie zum Zug kam. Also ein ernst zu nehmender Mitbewerber. Die Herausforderung intern war, dass die Arbeit für viele Kolleginnen und Kollegen zunächst «on top» – also zusätzlich zur normalen Arbeit – stattfinden musste. Da ist es nicht immer so einfach, sich einzubringen, wie es sich der Projektleiter – in diesem Fall ich – wünscht. Dennoch erfuhren wir damals eine große Unterstützung innerhalb des DFB. Alle zeigten eine große Motivation und Lust, sich zu engagieren, um diese EURO nach Deutschland zu holen. 

Am Ende habt ihr es geschafft, aber es war auch wahnsinnig viel Arbeit – hin bis zur Erstellung von Umgebungs-Landkarten der Spielorte, Bewertung der Verkehrs- und Parkplatzkapazitäten oder Darstellung der Werbungs- und Vermarktungsmöglichkeiten …
Ja, da haben wir viel Detailarbeit geleistet – von der wir aber jetzt auch profitieren, da wir bereits fürs Bewerbungsverfahren viele Dinge insbesondere im durchaus vielseitigen Stakeholder-Umfeld, bestehend aus Behörden, Städten, Stadionbetreibern, NGOs etc., abstimmen konnten. Bestimmte Verpflichtungen oder Rechte ließen sich damals schon klären und haben uns im späteren Verlauf viele Diskussionen erspart. 

Eine intensive Zeit also. Wie fühlt sich das nun kurz vor Turnierbeginn an?
Total spannend! Ich habe 2003 beim DFB angefangen. Es ist definitiv ein Geschenk, Teil eines so großen Projekts von der Planung und Strategieentwicklung bis zur Umsetzung zu sein. Natürlich bin ich gespannt, wie es sich anfühlen wird. Zum einen, wenn das Turnier gestartet, und zum anderen, wenn die EURO dann auch wieder abgepfiffen ist, wenn also die Arbeit von 7 Jahren ihren Abschluss gefunden hat und sich die Wege von lieb gewonnenen Kollegen trennen. Jeder hat sich zudem in diesen 7 Jahren verändert, sowohl beruflich als auch privat. Insofern hat das Turnier definitiv einen großen Einfluss auf mein Leben, nur weiß ich noch nicht, wie sich das emotional ausprägen wird. Momentan bin ich immer noch in der rationalen Arbeitsspur unterwegs, in der mein Fokus auf den operativen Themen liegt.

Das Turnier ist dann ja im besten Fall wie eine gut geschmierte Maschine, die auch ohne deinen Einfluss laufen sollte …
Zurücklehnen werde ich mich nicht können. Denn ich möchte immer die 100 Prozent. Das fordere ich dann auch für die Turnierphase und das wird unglaublich anstrengend. Mit 51 Spielen in vier Wochen haben wir viel vor uns. Einen kleinen «Testlauf» hatten wir ja bereits: Bei der Organisation der EURO 2020, die ja in verschiedenen Ländern stattfand. Hier war ich Veranstaltungsleiter für sämtliche Spiele in München. Damals kam bei mir dann erst ein paar Tage nach dem Turnier die Erleichterung und auch die Zufriedenheit. 

Zu den Spielen werden große Fangruppen erwartet, zum Teil über 100 000 Anhänger pro Team. Das sind Dimensionen, die eine große Herausforderung für die Logistik der Austragungsorte darstellen.
Klar, für die Host Cities wird das eine riesige Aufgabe! Wir rechnen beispielsweise damit, dass viele Schotten kommen – auch gleich zum Eröffnungsspiel nach München. Die schottische Nationalmannschaft hat zudem ihr Basecamp in Garmisch-Partenkirchen – da wird es sicherlich auch einiges an Reisebewegungen geben. Wir stellen aber auch bei anderen Fangruppen eine riesige Vorfreude fest, beispielsweise bei den Georgiern, die das erste Mal dabei sind. Und auch bei den Spielen der Ukraine und von Polen – beides Teams, die sich noch über die Play-offs qualifiziert haben – waren die Tickets innerhalb eines Tages vergriffen. Generell erhalten wir auch zahlreiche Rückmel­dungen von Fans, die bewusst sagen: «Ich möchte nicht nur für das Turnier hier sein, sondern ich möchte das Land erleben, und verbringe daher meinen Sommerurlaub in Deutschland.» Das ist eine großartige Gelegenheit für unser Land! Wir können damit zeigen, was uns ausmacht und welche Werte wir vertreten. 

Viele Fans reisen auch ohne Ticket an, und auch viele Menschen aus Deutschland reisen zu den Spielen, da die Städte an den Austragungsorten auch Public Viewings und Fanfeste veranstalten. Gibt’s hier besondere Planungsaufgaben, die man
als Außenstehender nicht wahrnimmt? 

Beispielsweise haben wir mit Düsseldorf und seiner Altstadt einen attraktiven und wunderschönen Austragungsort, den sicherlich auch viele Fans besuchen und dann vielleicht zu den Spielen nach Dortmund oder Gelsenkirchen reisen werden. Auch Stuttgart plant spannende Aktionen auf dem Königsplatz. Daher koordinieren wir erwartete Bahnbewegungen, sodass alle Besucher auch bei Abendspielen wieder schnell und unkompliziert an ihre Wohnorte oder Unterkünfte zurückkommen. Denn wir wollen natürlich, dass die Fans nachhaltig reisen. Zum Sammelsurium an Herausforderungen gehört auch die Abstimmung mit den Behörden, die in den Host Cities die Besucherströme leiten und die jeweils aktuelle Sicherheitslage bewerten.

Als Celtic Glasgow 2003 in der Champions League beim VfB antreten musste, ging in Stuttgart das Bier aus … Das können wir ausschließen, oder?
Ich bin mir sicher, dass die Städte optimal vorbereitet sind. Aber natürlich bin ich auch davon überzeugt, dass es einige Fangruppen geben wird, die einen guten Durst an den Tag legen. Wir in Deutschland haben als Fußballstandort tolle Stadien, die von klasse Clubs bespielt werden. Und zu dieser Fußballtradition gehört eben manchmal auch ein Bier und die Bratwurst dazu. Und das ist genau das, was viele bei ihrem Besuch in Deutschland – neben netten Menschen und gutem Wetter – auch erwarten!

Was zum ersten Mal auffällt, sind die Nachhaltigkeitsthemen, die mit der EURO 2024 transportiert werden. Siehst du hier Chancen, den Fußball weiterzuentwickeln?
Nachhaltiges Handeln ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, die auch manchmal überfordern kann. Insofern war es uns von Anfang an eine Herzens­angelegenheit, hier Sinnstiftendes mit beizutragen. Wir haben beispielsweise aus eigener Motivation als UEFA einen Klimafonds eingerichtet, bei dem sich die deutschen Fußball-Amateurvereine sehr unkompliziert bewerben können, um finanzielle Unterstützung für nachhaltige Investitionen zu erhalten – beispielsweise, um das eigene Vereinsheim mit Solarenergie nachzurüsten. Wir haben aber auch den Spielplan so erarbeitet, dass die Reisewege minimiert wurden. Wenn’s gut läuft, werden die Teams im Vergleich zur EURO 2016 in Frankreich etwa 75 Prozent weniger Flüge haben. Aber für einen echten Impact müssen sich alle mit nachhaltigen Themen auseinandersetzen und auch entsprechend handeln. Das gilt für uns als Führungskräfte genauso wie für unsere gesamte 650-köpfige Belegschaft. Bei all unseren Terminen fahren wir in der Regel nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Zu Beginn fiel es natürlich nicht jedem leicht, auf das Taxi zu verzichten. Eine moderne Großsportveranstaltung muss solche Bedingungen heutzutage einfach erfüllen – und das nicht nur aufgrund politischer oder behördlicher Vorgaben. Denn wir alle tragen eine Verantwortung für unsere Umwelt.

Die Thematisierung nachhaltigen Handelns hat auch eine große Strahlkraft nach außen und in die Vereine hinein.
Das ist auch erklärtes und vielschichtiges Ziel. Für uns als Organisation bedeutet unsere Initiative, alle Aspekte der Nachhaltigkeit zu betrachten. Das sind dann auch Themen wie das Lieferkettensorgfalts­pflichtengesetz oder Melde- und Beschwerdemechanismen. Diese sind ebenso unerlässlich, wie auch auf eine nachhaltige Ernährung zu achten. Außerdem haben wir in Katar gesehen, was passieren kann, wenn wir anderen mit erhobenem Zeigefinger sagen, wie sie es besser machen können. Wir müssen also zuerst vor unserer eigenen Haustür kehren und sollten bei uns selbst anfangen, diese Forderungen, die sich beispielsweise aus den Menschenrechten ergeben, richtig umzusetzen. Fakt ist: Die EURO 2024 wird für vier Wochen eine tolle Party, über die wir uns alle freuen werden. Aber welche Wirkung von dieser Veranstaltung bleibt, hängt davon ab, was jeder Einzelne aktiv als Teil dazu beiträgt – sowohl wir als Veranstalter, die Fans und Besucher, die Host Cities als auch die Politik. Für alle gilt es, das Bewusstsein für Maßnahmen zu erhöhen, die später nachhaltig umgesetzt werden können.

Das «Sommermärchen» – also die Fußball-WM 2006 in Deutschland – hat unser Land ein Stück weit verändert. Die Zeiten sind nun andere. Inwieweit hat die EURO 2024 das Potenzial, das eigene und möglicherweise sogar das internationale Miteinander zu stärken? Gibt es Erwartungen deinerseits?
Das Sommermärchen 2006 hat uns alle verblüfft, indem es gezeigt hat, wozu dieses Land fähig ist. Sogar das Ausland war sehr positiv überrascht von dem, was wir Deutschen damals gezeigt haben und wie sich unser Land präsentiert hat. Ich bin überzeugter Europäer, weil ich an die Idee glaube. Mir ist bewusst, dass es nicht immer leicht ist, mit der Bürokratie aus Brüssel umzugehen. Aber: die Idee, dass Europa grenzüberschreitend zusammenkommt und gemeinsam feiert, finde ich großartig! Die EURO wird Begegnungen zwischen Menschen schaffen, die sich normalerweise nicht treffen würden. Sie wird hoffentlich zeigen, dass wir als Nation offen, freundlich und wertschätzend mit unseren Gästen umgehen, dass wir Probleme effizient angehen und lösen können, und die EURO muss auch verdeutlichen, dass jeder Mensch bei uns so feiern und sein kann, wie er möchte – unabhängig von Herkunft, Aus­sehen oder Glaube. Ich maße mir nicht an, zu sagen, dass das Turnier alles verändern wird. Es wäre schön, wenn das der Fall wäre, aber es wird deutlich schwieriger sein als 2006, da die Erwartungen teilweise sehr hoch sind. Wir hoffen also, dass die Bühne, die der Sport bietet, von Menschen mit positiven Gedanken und Ideen genutzt wird und nicht von solchen, die spalten und aus­einandertreiben wollen. Wer weiß, wann wir das nächste Mal wieder etwas so Großes in Deutschland haben werden. Deshalb müssen wir diese Chance nutzen. Ich freue mich darauf, Menschen aus vielen verschiedenen Ländern kennenzulernen, sie mit ihren Teams mitfiebern und auch feiern zu sehen. 

Gibt es – neben der deutschen Nationalmannschaft – ein Team oder ein Spiel, das dir besonders am Herzen liegt?
Die Partie zwischen Dänemark und England in Frankfurt verspricht äußerst spannend zu werden. Ich habe dänische Wurzeln, insofern schaue ich bei diesem Spiel daumendrückend hin. Generell freue ich mich besonders auf alle Begegnungen, bei denen Nationen von Freunden wie Italien oder die Türkei vertreten sind. Da kann man sich ein wenig necken, wenn die eine Mannschaft mehr oder weniger Erfolg hat als die eigene. Und natürlich freue ich mich auf das Spiel zwischen Deutschland und der Schweiz in Frankfurt. In unserem Joint Venture haben wir viele Schweizer Kollegen. Da ist es spannend, wer am Tag danach mit welcher Laune zur Arbeit erscheint. (lacht)

Aber nach Stuttgart wird es dich schon auch mal verschlagen, oder?
Das Match Deutschland gegen Ungarn verspricht zweifellos Spannung. Gemeinsam mit meinem Geschäftsführerkollegen Andreas Schär habe ich mir vorgenommen, jede Host City und jedes Stadion einmal zu besuchen. Das wird auf jeden Fall eine Herausforderung, da wir parallel von Frankfurt aus operieren. 

Der Countdown läuft also …
Ja, bei mir vielleicht länger als bei anderen. Das ist auch in Ordnung, da es unser Ziel ist, alle einzubeziehen und sicherzustellen, dass jeder sich als Teil der EURO fühlt. Das gilt für uns hier aus der Organisation genauso wie es für die Fußballverbände und auch für die Amateurvereine im Land gilt. Der DFB hat dafür auch seine Kampagnen «Punktespiel» oder «Fußballzeit ist die beste Zeit» auf den Weg gebracht. Die EURO bietet also eine unglaublich große Bühne, die von allen genutzt werden kann – man muss sich nur ein paar Gedanken dazu machen. Im Moment spüren wir jedenfalls, wie die Vorfreude steigt. Die sportliche Entwicklung unserer Nationalmannschaft hat uns da sicherlich auch geholfen. Eigentlich kann’s nun also losgehen! |